
Seit einem Jahr mischt BMW in der Welt typisch amerikanischer Cruiser und Vollfetteisen mit. Zuerst kam die puristisch angehauchte R 18 im Retro-Style, bei der der Big-Boxer, der größte Flachtwin aller Zeiten, mit bauchigen Fishtail-Endrohren glänzen darf (Link zum Fahrbericht der BMW R 18 First Edition). Danach folgte die R 18 Classic mit Ballon-Vorderreifen, Police-Windschild, Kanonenrohr-Auspuff und Ledertaschen. Im ersten Jahr der R 18 wurden bereits 4.000 Exemplare verkauft, ein schöner Batzen landete natürlich in den USA, das Interesse speziell in Deutschland war größer als erwartet, sogar in China hat die Nachfrage die Erwartungen überflügelt.
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Nun also rollt die R 18 B (wie Bagger) an, mit opulenter Lenkerverkleidung inklusive Riesen-TFT mitsamt Audio/Info-System, 24 Liter-Tank, Doppelsitzbank und fest montierten Koffern. Gleichzeitig folgt die weithin identische R 18 Transcontinental, die zusätzlich aufgebrezelt mit Armchair-Topcase, größerer Windscheibe, Motorschutzbügel, Sitzheizung, Fullsize-Trittbrettern und Zusatzscheinwerfern noch raumgreifender auftritt. Womit endgültig klar ist, dass die Bayern die R18-Modellfamilie nach US-Vorbild immer weiter aufspreizen, damit Heavy-Metal-Interessenten beim Glaspalast-Dealer genügend Auswahl vorfinden, um fündig zu werden.

Drei Dutzend R 18-Bagger auf dem Hotel-Vorplatz ergaben ein mächtig imposantes Bild. Titanische Schwergewichte in Reih und Glied. Von der Transcontinental waren auch ein paar vor Ort, diese wurden aber nicht gefahren, nur die Bagger. Theoretisch hätte man beide Modelle unterwegs durchtauschen können, was wegen Corona-Schutzauflagen in der Praxis aber nicht gestattet war.
Die Testfahrt mit dem Bagger-Dickschiff führte von Frankfurt aus in den Rheingau. Eine schöne 250 km-Runde, ein kurzes Stück Autobahn, dann ab ins Grüne auf kurvenreiche Landstrassen. Gefahren wurde in Gruppen mit je 7 Bikes inklusive Guide vorne weg und Lumpensammler hinterher. Die Gangart war artgerecht lässig, unter geschlossener Wolkendecke, erst zur zweiten Tageshälfte gab es hier und da nasse Strassen, auf denen es zuvor geregnet hatte; also alles gut und kein Grund, Regenzeug überzustreifen.

Das Herz der R 18 B mit 91 PS bei 4.750/min und 158 Nm Drehmoment ist identisch mit dem der ersten R 18. Der 1,8 Liter Boxer, dieses blauweiße Weltwunder, verdient unverändert das goldene Weißwurst-Prädikat mit Senf und Brezelbeigabe. Massig, geschmeidig und breitbandig-punchig. Wirklich eine Wucht, nicht nur optisch. Wie das vom Leerlauf weg am Gas hängt, lokomotivig anschiebt und den Oktan-Saft zivilisiert in Vortrieb und Feelgood-Schwingungen umsetzt, je nach Drehzahl wechselnd an Lenker, Sitzfläche oder Füßen, ist großes Kino.

Die Bagger-BMW ist nicht nur schwerer, auch die Gewichtsverteilung stellt sich anders dar als bei der (puren) R 18, weil der Tank deutlich vergrößert wurde und die Verkleidung (bestückt mit vier Rundinstrumenten, Riesen-TFT-Display, Scheinwerfer plus Lautsprechern) reichlich Masse nach vorne transferiert. Auch die Sitzposition hinter dem tourenfreundlichen Lenker ist aufrechter. Deswegen haben die Bayern sich den Doppelschleifen-Rahmen vorgeknöpft, den Gabelwinkel steiler gestellt, über neue Gabelbrücken bei der Geometrie den Nachlauf verlängert sowie den oberen Teil des Rohrwerks durch ein Konstrukt aus Blechformteilen ersetzt, weil damit das Packaging unter dem Tank vorteilhafter gelingt.

Das Ergebnis des konstruktiven Extra-Aufwands fährt sich beim Cruisen jedenfalls tipptopp ausgewogen: stabiler Geradeauslauf, harmonisches Einlenken in Kurven, generell gutes und sicheres Feeling. Auch bei Schritt-Tempo im Stau oder vor Ampeln lässt sich das Bike erstaunlich lange ohne Wackeln oder Lenkerzappeln in der Senkrechte halten, bis man schließlich mit den Füßen Bodenkontakt sucht.
Ohne diese Rahmenmodifikation, erklärten die BMW-Entwickler, würde die R 18 B sich kippliger gebärden und beim Einlenken das Gefühl vermitteln, dass gleich das Vorderrad einklappt. Der zusätzliche Aufwand sei gerechtfertig, einfach huschhusch übernehmen sei halt nix Gescheits. Weil wenn man schon so ein neues Bagger-Motorradl baue, soll das ja auch anständig funktionieren und nicht nur gut genug.

398 Kilo. Soviel wiegt die neue R 18 B vollgetankt mit allen zusätzlichen Anbauteilen. Das sind 53 Kilo mehr als bei der ersten R 18, die dem Salatprynz schon ein paar ächzende Laute abverlangt hat. Die wuchtige Bagger-Masse vom Seitenständer in die Senkrechte wuchten geht weder lässig oder nonchalant vonstatten. Also: Durchatmen vor dem Aufstellen, mit Hauruck am Lenker ziehen, dann ein Doppel-Ächz folgen lassen. Der Druck auf den E-Starter rundet das Launch- und Anstart-Prozedere geräuschvoll mit rustikalem Eingriff, Boxer-Grunzen und gewaltigem Schwungmassen-Linksdrall ab.
In Fahrt sieht die Welt anders aus. Die R 18 B ist ein gewichtiges Eisen, da beisst die Maus keinen Faden ab, lässt sich bei normaler Gangart geradeaus wie in Kurven aber ordentlich kontrollieren und dirigieren. Gelassenheit bewahren und weit voraus planen hilft, wie ein Trucker denken ist ja nicht so schwierig. Wendemanöver auf engstem Raum oder schmalen Straßen gilt es besser zu vermeiden. Ansonsten kann man nur den optionalen Rückwärtsgang empfehlen, mit dem sich die Fuhre nach dem Umlegen eines Hebels links am Motorgehäuse über den E-Starterknopf rückwärts reversieren lässt.

Das Getriebe mit 6 Gängen schaltet sich klonkig, jedenfalls nicht geräuschlos, aber das passt noch zum Dickschiff-Charakter. Dafür sind Schaltwege und Rastung okay. Bei der Federung muss der Fahrer genialerweise gar nichts einstellen. Telegabel (mit Außenhülsen) und direkt angelenktes Zentralfederbein arbeiten mit einer automatischen Federvorspannung sowie wegabhängiger Dämpfung und schlucken alles weg, was die kontrastgefrästen Gussräder vom Asphalt an löchrigen Gemeinheiten serviert bekommen. Für Zweipersonenbetrieb ist das Federbein zusätzlich mit einem automatischen Beladungsausgleich ausgerüstet.
Beim Blick auf die lenkerfeste Verkleidung sieht alles normal, sogar recht elegant aus. Sitzt man im Sattel, türmt sich eine Schrankwand auf. Von der Scheibe bleibt oben ein schmaler Streifen, durch den es zu peilen gilt. Vorteil: Der Blick reicht weit nach vorn, die Blickführung stimmt also immer. Darunter breiten sich vier Analog-Rundinstrumente aus. Tacho, Drehzahlmesser, Tankuhr sowie eine »Power-Anzeige«, die informiert, wieviel Motorleistung in Fahrt momentan NICHT abgerufen wird. Dieses Feature wurde von Rolls-Royce übernommen. Wer am Hangaround nicht genug Blicke erheischt und sich unterwegs stark fühlen möchte, weil er über Power im Überfluss verfügt, kann sich so zumindest selbst ein bißchen bewundern.

Links und rechts finden sich zwei Lautsprecher der serienmäßigen Audio-Anlage. Wer sich wundert, wie das bei Regen funktioniert: Die Speaker sind wasserdicht, die Membranen sind nämlich aus hauchdünnem Kohlefaser-Material gefertigt. Unter den Rundinstrumenten prangt das 10,25 Zoll große TFT-Farbdisplay, das mit Connectivity und smartphone-basierter Kartennavigation ausgerüstet ist. Heisst: Übers Smartphone und die BMW Connected App lässt sich die Navigationskarte darstellen und so auf ein zusätzliches Display verzichten.
Fullscreen-Ansicht ist ebenso möglich wie Splitscreen. Zur Info-Auswahl stehen Tachometer und Drehzahlmesser, diverse Grundfunktionen, Navigationskarte, Bord-, Weg- und Reisebordcomputer. Über Kacheln können die Menüs »Mein Fahrzeug«, »Radio«, »Navigation«, »Media«, »Telefon« und »Einstellungen« ausgewählt werden. Für Helm- oder Smartphone-Verbindungen verfügt das Display über zwei Funkantennen. Eine Antenne steht für Bluetooth zur Verfügung, eine weitere ermöglicht den Datenaustausch sowohl über W-LAN als auch Bluetooth.

Den Tank schmückt obenauf eine ansehnliche Chrompartie. Tatsächlich besteht diese aus zwei Deckeln, die sich per Tasterdruck öffnen lassen. Unter dem einen findet sich der Tankdeckel, unter dem anderen ein wasserdichtes Smartphone-Fach inklusive USB-Kabel für den Akku. Weil das Handy Wärme entwickelt, beim Laden wie im Betrieb, wird das Fach extra belüftet und gekühlt, über einen kleinen Ventilator, wie sonst bei Computergehäusen üblich.
Unterscheidenswert: Die R 18 verfügt über normal runde Gummifußrasten. Die R 18 B ist mit kleinen Trittbrettern ausgestattet, der Schalthebel lässt sich wie bei der R 18 mit der Fußspitze nach oben wie unten bedienen. Die Transcontinental mit großen Trittbrettern hingegen verfügt über eine Schaltwippe, zum Runterschalten muss also zusätzlich die Ferse bemüht werden. Bei beiden Trittbrett-Größen sind die Gummiauflagen schwimmend auf den Grundplatten gelagert, um Vibrationen an den Füßen wegzufiltern, bevor diese belästigen.
Das Bremssystem der R 18 B ist vollintegral ausgelegt. Heisst: Vorne am Hebel ziehen bremst hinten mit. Hinten drauftreten bremst vorne mit. Die Abstimmung der Anlage mit Vierkolbenzangen und 300 mm-Scheiben ist defensiv gewählt, die mögliche Verzögerung eher Mittelmaß und der Druckpunkt holzig. Tatsächlich haben sich die Bayern hier schlicht an den bei Cruisern üblichen Standards und den Ansprüchen der Kunden in den USA orientiert.
Bigger is better, diese Maxime gilt in Amerika auch für die besonders beliebten Bagger. Das muss großvolumig und schwer sein und machtvoll durchziehen. Windschutz ist wichtig und Komfort spielt noch mit hinein. Die Madame hinten will bequem sitzen und Raum für Gepäck muss auch sein. All das hat BMW berücksichtigt: Komfortabel und fett gepolstert ist die Sitzbank der R 18 B auf jeden Fall (die der Transcontinental sogar noch breiter ausgeführt). Die fest montierten 27 Liter-Seitenkoffer fallen schmal aus, was wohl durchgeht, weil das allgemein so üblich ist. Die Koffer sind als Toplader ausgeführt; die Schlösser und verchromten Schließhebel der Deckel sind auffallend solide und lassen sich händisch ordentlich bedienen.
Das Soundsystem des britischen Herstellers Marshall umfasst serienmäßig zwei Lautsprecher à 25 Watt. Wem das nicht reicht: Bei der optionalen Gold Series Stage 1 sind zusätzlich 90 Watt Subwoofer in den Packtaschen sowie ein 180 Watt-Verstärker montiert. Für die R 18 Transcontinental steht optional mit der Gold Series Stage 2 ein System mit sechs Lautsprechern plus Booster zur Verfügung, zwei stecken dann in der Topcase-Rückenlehne.

Neben der schwarzen First-Edition-Lackierung mit weißen Doppelzierstreifen im ersten Jahr werden R 18 B und R 18 Transcontinental noch in schlichten Schwarzmetallic oder Olivgrün-Metallic angeboten. Bunte Vögel können dazu auf die Option 719-Lackvariante »Galaxy Dust« in Blau- und Violett-Tönen abfahren. Die Preise für die BMW R 18 B starten bei 26.600 Euro, für die R 18 Transcontinental werden 27.650 Euro aufgerufen (jeweils plus Fracht-/Aufbau-Pauschale).
»Das fährt wie eine Harley Street Glide, nur besser«, fasste ein Mittester trefflich zusammen, als der Tag mit der R 18 B gelaufen war, mit einer Pulle Bier in der Hand. Ob auch der Salatprynz erfolgreich angebaggert wurde? Nun, der Rheingau ist nicht Amerika und die Wispertalstrasse nicht die Route 66, wo derlei 400 Kilo-Klötze eigentlich hingehören. Dort hätte der Bagger mich emotional wohl überwältigt, diese Gefahr liess sich beim Dahinschlendern in der hessischen Provinz elegant umschiffen.
Zumindest habe ich endlich kapiert, warum US-Eisen meist in Rudeln auftreten. Lässig dahinströmen funktioniert in der Gruppe besser, statt als einsamer Wolf die große Freiheit am Horizont zu verfolgen, bis einen der Sonnenuntergang verschluckt. Cool beim Cruisen war die Musikbeschallung, wenn der Rhythmus den Flow sanfter Biegungen komplimentierte. »Whatever you want« von Status Quo kam besonders gut. Welcher Fahrmodus am besten passte? Rain hatte keine Chance. Rock war okay, Roll aber auch.

Datensalat: BMW R 18 B
Motor: Luft-/ölgekühlter Zweizylinder-Boxermotor, 1.802 ccm Hubraum aka 110 cubic-inches, Leistung 91 PS/67 kW bei 4.750/min, max Drehmoment 158 Nm bei 3.000/min, Bohrung x Hub 107,1/100 mm, Verdichtung 9,6 zu 1, OHV, 4 Ventile pro Zylinder, Kraftstoffeinspritzung, Drosselklappen-Ø 48 mm, Sechsganggetriebe, Rückwärtsgang optional, hydraulisch betätigte Einscheiben-Trockenkupplung, geregelter Dreiwege-Katalysator, Abgasnorm Euro 5
Fahrwerk: Stahl-Doppelschleifen-Rohrrahmen mit Rückgrat aus Blechumformteilen, beide Unterzüge verschraubt. Telegabel mit 49 cm-Standrohr-Ø und Rohrschwinge mit Cantilever-Federbein, beide mit wegabhängiger Dämpfung und automatischem Beladungsausgleich, Freilaufende Kardanwelle mit Kreuz- und Tripoidengelenk. Federweg v/h 120/120 mm, Aluminium-Gussräder (kontrastgefräst), vorne 3,5 x 19 Zoll, hinten 5,0 x 16 Zoll. Reifendimension vorne 120/70 R bzw B 19 (herstellerabhängig) und hinten 180/65 B 16, Reifen-Erstausrüster sind Bridgestone und Michelin, Doppelscheibenbremse mit 300 mm Ø vorne mit zwei 4-Kolben-Festsattelbremszangen, Einscheibenbremse mit 300 mm Ø hinten mit einer 4-Kolben-Festsattelbremszange, ABS mit vollintegraler Auslegung (vorne bremsen verzögert hinten mit und hinten bremsen bremst vorne mit).
Elektrik + Assistenz-Systeme: Lichtmaschine 660 W, Batterie 12 Volt/26 Ah, Abblend + Fernlicht LED, bei adaptivem Kurvenlicht mit Projektionsmodul. E-Starter. Automatische Stabilitätskontrolle ASC und Motorschleppmoment-Regelung MSR, Fahrmodi Rock, Roll + Rain.
Maße/Gewichte: Radstand 1.695 mm, Sitzhöhe 720 mm, Lenkkopfwinkel 62,7 Grad, Nachlauf 183,5 Gewicht fahrfertig 398 kg, zulässiges Gesamtgewicht 630 kg, Tankinhalt 24 Liter. Fahrleistungen laut Werk: 0-100 km/h in 5,5 s, Höchstgeschwindigkeit 180 km/h. Kraftstoffverbrauch (WMTC) 5,5 l/100 km. CO2 Emissionen (WMTC) 134 g/km.
Preis: 26.600 Euro zzgl. Fracht/Überführungskosten

Die BMW R 18 Transcontinental verfügt zusätzlich über Frontverkleidung mit hohem Windschild, Windabweiser und Flaps, Sessel-Topcase mit Anlehnfunktion, Zusatzscheinwerfer, Motorschutzbügel, Sitzheizung, und diverse Chromteile. Das Motorgehäuse ist in Silber Metallic gehalten (R 18 B Schwarz) und das Gewicht vollgetankt beträgt 427 Kilo. Preis der R 18 Transcontinental: 27.650 Euro zzgl. Fracht/Überführungskosten.

Fotos: BMW/Markus Jahn, Daniel Kraus & Jörg Künstle. Buenos Dias