
Als BMW einst die R 80 G/S als allroundige Enduro auf den Markt brachte, ahnte niemand, welche Erfolgsstory damit ihren Lauf nehmen sollte. 41 Jahre und etliche Modellgenerationen später ist daraus die R 1250 GS geworden, eine Adventure-Maschine mit Zweizylinder-Boxer und Kardanantrieb, die alles mitmacht, von gemütlicher Ausfahrt über Alpen- oder Urlaubstour bis zur Weltreise, inklusive Brötchenholen und Offroad-Abenteuer, gemütlich oder zackig bewegt, mit wie ohne Gepäck und gerne auch zu zweit. Ein kerniger Alleskönner, der als robust, zuverlässig, bequem und genügsam zugleich gilt.
Über die Jahre wuchs der Hubraum von 800 auf 1000, 1100, 1200 und 1250 Kubik. Aus der Telegabel wurde die Telelever-Front, aus der Einarmschwinge die Paralever-Schwinge, die Leistung stieg von 50 PS auf 136 PS. Inzwischen glänzt der Flachtwin mit Wasserkühlung, Shiftcam-Technik, schlauen Fahrprogrammen und Euro 5, das Rohrrahmen-Konstrukt besteht aus Haupt- und Heckrahmen, es gibt Features wie Kurven-ABS und Integral-Bremssysteme, elektronisch geregelte Federelemente und LED-Lichtzauber, massig Zubehör wie Sitzbänke, Windscheiben, Heizgriffe und Gepäcklösungen, plus Ausstattungspakete und Bekleidungsangebote.

Die Fangemeinde der dicken Boxer-GS (es gibt ja auch die mittelgroßen F-Twins und die kleineren G-Einzylinder) hat beachtliche Ausmaße angenommen, vom Produktionsband im Berliner Werk laufen inzwischen knapp 45.000 Einheiten jährlich, die rund um den Globus verkauft werden, wobei sich die Verteilung zwischen der Standard-GS und der dickbauchigeren Adventure-Variante auf etwa 50/50 eingependelt hat.
Konkurrierende Reiseenduros gibt es reichlich: Honda Africa Twin, KTM Super Adventure, Ducati Multistrada, Suzuki V-Strom, Yamaha Super Ténéré und Ténéré 700, Moto Guzzi V85 TT und die Alteisen-Amis tummeln sich inzwischen im ADV-Segment. Kein Grund zur Unruhe im blauweißen Lager, weil beim Absatz läuft es unverändert rund, aber durchaus Anlass, einigen Medienvertretern Gelegenheit zu geben, die vielfältigen Gesichter des Flaggschiffs wahrzunehmen und auszuprobieren.

So ging es von München in einer Gruppe mit R 1250 GS und R 1250 Adventure über Landstraßen nach Hechlingen in den BMW-Enduropark, dort wurde ein halber Tag offroad herumgekraxelt. Am zweiten Tag folgte eine ausgesucht kurvenreiche Landstraßenpartie retour in die bayrische Hauptstadt. BMW-Fahrberichte gab es hier schon etliche (R 18, S 1000 XR, F 900 R/XR, R NineT /5, S 1000 RR mit Tim Holtz im Sattel), für den Salatprynz war es eine willkommende Gelegenheit, erstmals BMW-Bikes mit dem aktuellen Shiftcam-Boxer-Triebwerk auszuführen.
Für die ersten 150 Kilometer geschwungene Landstraße suchte ich mir aus der Testflotte eine GS ohne Sturzbügel und Zusatzscheinwerfer aus: Weiss, zweiteilige Sitzbank, Packtaschen (mit verstellbarem Volumen) sowie etwas größere Scheibe. Dazu an Bord: Navigator VI, Esa-Fahrwerk, mehr Fahrprogramme (5 statt 2), Handschutzschalen, LED-Tagfahrlicht, Notrufsystem und mehr. Bikes aus dem BMW-Fuhrpark sind ja gerne umfassend ausgestattet.

Eine voll ausgestattete BMW R 1250 GS ist weder zierlich noch leicht, sondern ein ausgewachsenes, stämmiges Motorradl. Das spürt man schon beim Aufsteigen, wenn beim Bein-Drüberschwingen die Koffer im Weg sind. Also erst die rechte Stelze anheben wie ein Flamingo, dann wie ein Kickboxer straight über den Fahrersitz auskeilen und möglichst kontrolliert wieder absinken lassen, während gleichzeitig das linke Bein näher ans Bike heranrobbt.
Hat man das geschafft, sitzt man aber gut und bequem, Kniewinkel und aufrechte Haltung hinter dem breiten Lenker passen, und dann darf der Boxer in Fahrt sein sonores Lied brummen. Ergonomisch ist alles in Butter, nur die linke Ferse stösst gegen den Ausleger des Hauptständers. Das TFT-Display ist ansehnlich gestaltet, das Cockpit drumherum bietet eher grobschlächtiges Trecker-Ambiente, was IMHO seltsam anmutet, weil BMW im automobilen Bereich ja vormacht, wie Finesse im Cockpit-Sichtbereich funktioniert.
Ewiggestrige erzählen gerne, dass Boxerfahren seltsame Begleiterscheinungen mit sich bringe und dass Getriebe, Kardan, Rückdrehmoment und Fahrstuhleffekt arg gewöhnungsbedürftig sind. Das war vielleicht früher einmal so. Heute steigt man auf und fährt einfach los. Die meisten Schalter und Knöpfe überreisst man sofort, sogar für das Dreh-Einstellrad links muss man nicht studiert haben, um grob zu kapieren, was wie und wofür taugt.

Eine 1250er GS ist schon ein Klotz und mutet rustikal zusammengezimmert an statt feingeistig modelliert. Der einschüchternde Auftritt tritt erst in den Hintergrund, sobald man losfährt und etwa 50 Kilo des Gesamtgewichts von plusminus 250 kg (je nach Ausstattung auch eher mal mehr) sich in Luft aufzulösen scheinen. Wichtig ist, dass man die Sitzbankhöhe serienmäßig mit ein paar Handgriffen einstellen kann, auf »Normal« und auf »Hoch«. Dann sollte der Kniewinkel schon mal hinhauen und es gibt keine Probs beim Anhalten mit dem Fußeln. Falls das nicht reicht, gibt´s noch, eh klar, besonders tiefe oder hohe Sitzbänke als Zubehör beim Händler; Tieferlegung übers Federbein bleibt als weitere Möglichkeit. Die Scheibenhöhe lässt sich während der Fahrt einstellen, mit einem klobigen Drehkauf, der aber praxisgerecht bedienbar ist.
Beim Fahren passt alles, der Shiftcam-Boxer brummt unaufgeregt, zieht souverän durch und lässt sich lammfrom steuern, die Kupplung ist leichtgängig, die Schaltung flutscht rauf und runter (wenn man die Kupplung auslöst dazu), der Quickshifter am Testbike machte wenig Freude, mal will er, mal nicht, mittlere Drehzahlen funzen, tiefe und höhere Drehzahlen eher nicht, die Federung bügelt die meisten Gemeinheiten der Straße weg, Dämpfung und Komfort lassen sich per Knopfdruck nach Gusto einstellen (Road oder Dynamic).

Wir kurven entspannt einen halben Tag über kurvenreiche Landstraßen von München nach Hechlingen in den BMW Enduropark. Das ist ein ehemaliger Steinbruch, in dem seit über 25 Jahren instruktorengeführtes Offroadfahren praktiziert wird. Es gibt Schotter, Steine, Sand und Schlamm, dazu Steilhänge, Wasserdurchfahrten und Passagen in allen Kniffelgeraden, von einfach bis herausfordernd.
Die BMW-Leute verweisen stolz darauf, dass das Konzept rücksichtsvoll im Einklang mit Natur und Tierwelt umgesetzt wird und nicht unsonst Gelbbauchunke, Kreuzotter, Blindschleiche, Molche und andere Kriechtiere das Gelände bevölkern. Ein Uhu, der schon öfter Nachwuchs hatte, nistet seit vielen Jahren in einer Felswand. Sogar Pflanzen, die es sonst nimmer gibt und seltene Ordideenarten sollen auf dem weitläufigen Areal spriessen.

Wir werden in Gruppen aufgeteilt und steigen auf stollenbereifte R 1250 GS (im sogenannten Rallye Style) um, die sonst für eingebuchte Teilnehmer zur Verfügung stehen. Die Bikes haben eine bunte Rallye-Sitzbank, Sturzbügel, angepassten Luftdruck, Lenkererhöhung und gezackte Fußrasten; dazu sind die Handhebel nach unten gedreht, damit man diese beim Stehen in den Rasten besser erreicht.


Die Offroad-Qualitäten des GS-Boxers sind nicht leicht zu verstehen. Gross, breit, massig, gewichtig – wäre nicht jede 30 Jahre alte 250er Enduro für Geländeabstecher besser geeignet? Eigentlich nimmt einem die GS die Antwort ab, sobald man in den Rasten stehend die ersten Fahrübungen absolviert. Es fühlt sich gut austariert an und tuckert brav in jeder gewünschten Richtung durch Gemüse. Das Geheimnis liegt a) am tiefen Schwerpunkt und b) am kraftvollen, gleichzeitig elastischen Durchzug aus dem Drehzahlkeller, das Abwürgen quasi unmöglich macht, jedenfalls solange man das Gleichgewicht hält. Auch die Kombi aus 19 Zoll Vorderrad und 17 Zoll-Hinterrad trägt zum spurtreuen Handling im Gelände bei.
Die grobstollige Bereifung wirkt Wunder, der Grip damit übertrifft die Erwartungen. Also geht es über Schotterwege und erdiges Gelände, durch abgesteckte Slalompassagen, über Erdwälle, Auffahrten rauf und Abhänge runter und durch tiefe Wasserfurten. Der vorfahrende Offroad-Guide ist ein routinierter Fuchs, der weiss, was zumutbar ist, um Vertrauen aufzubauen, die Lernkurve zu erklimmen und schrittweise Erfolgserlebnisse zu verspüren.
Die Offroad-Kurse im BMW Enduropark Hechlingen sind von jedermann buchbar, online natürlich, über ein oder zwei Tage. Auch Brad Pitt war übrigens schon mal da. Teilnehmern steht es frei, die eigene Maschine zu fahren, auch das Fabrikat spielt keine Rolle; grundsätzlich scheint das Mieten einer offroadgerecht präparierten 1250er GS aber empfehlenswert (der Fuhrpark vor Ort umfasst über 70 Bikes). Nicht nur wegen der erstaunlichen Fahrbarkeit im Gelände, der angepassten Bereifung und der entsprechenden Präparierung, sondern auch, weil nach Umfallern kein Selbstbehalt zu entrichten ist. Die Miet-Kühe sind so robust (und alles Unnötige abgeschraubt), das nur selten etwas kaputt geht.
Für den Rückweg in die bayrische Hauptstadt am zweiten Tag geht es zurück auf Asphalt, die Guides strömen lässig durch ausgesucht schöne und kurvenreiche Landschaft. Nach der normalen R 1250 GS steige ich auf eine R 1250 GS Adventure, die Vollfettvariante für Weltenbummler, die zusätzlich mit 30 Liter-Tank, großem Windschild, längeren Federwegen, Kreuzspeichenrädern und Tank/Motorschutzbügeln ausgestattet ist. Obwohl motorisch komplett gleich, entpuppt sich die Adventure nochmal eine Hausnummer gewichtiger und monströser. Dazu sitzt man höher, nochmal 40 mm weiter oben (890/910mm beträgt die Sitzhöhe bei der Adventure, 850/870 mm bei der normalen GS).

268 Kilo drückt eine GS 1250 Adventure laut Datenblatt auf die Waage, also ohne Packtaschen und weiteres Zubehör, dass noch verbaut ist, ob nachträglich oder bereits im Werk montiert. Eine normale, ebenfalls quasi nackte R 1250 GS wiegt mit 249 Kilo immerhin 19 Kilo weniger. Das fühlt man deutlich. Die Adventure fährt sich mehr wie eine Wuchtbrumme, massiger im Vorderbau und insgesamt behäbiger, wenn auch immer noch im grünen Bereich. Auch die Bereifungen spielten mit hinein. Die normale GS rollte auf Bridgestone A41, die Adventure-gerecht etwas rustikaler profiliert sind und neben Straßenbetrieb auch Schotterstraßen nicht übel nehmen. Die R 1250 GS Adventure rollte auf Michelin Anakee Adventure, ein deutlich grober profilierter On- und Offroad-tauglicher Gummi, dessen Michelin-typisch weicher Karkassaufbau im Vergleich zum steiferen Bridgestone schon ein unterschiedliches Straßenkontakt-Feeling produziert.
Immer schön konzentriert bleiben und einen Tick vorausschauender fahren kann mit dem Abenteuer-Dickschiff nicht schaden, weil Richtungswechsel und Kurskorrekturen weniger selbstverständlich von der Hand gehen. Mehr an Material und raumgreifendem Auftritt erfordert geringfügig mehr Umsicht und Vorausplanung. Ein bißchen wie beim Transporterfahren (mit dem T5-Salatbus). Beschwingtes Herumgeigen gestaltet die normale R 1250 GS jedenfalls einen Tacken einfacher und müheloser.

Was beiden großen GS-Boxern abgeht, ist jeglicher asketische Ansatz. Die Dinger wirken überbordend bis elitär, statt pfiffig und bescheiden, eine zurückhaltende Ausstrahlung ist jedenfalls nicht festzustellen. Beide tragen eher dick auf und bieten durchweg mehr als zu wenig, also Leistung, Durchzug, Laufruhe, Straßenlage, Komfort, zeitgemäße Technik und alle nur denkbaren Features. Sogar geheizte Sitzbänke, seit 2021 jedenfalls.
Nüchterner betrachtet lässt sich festhalten: Große Boxer sind grundsätzlich einfach und problemfrei zu fahren, die funktionalen Qualitäten sind beachtlich. Die Möglichkeiten, sein Bike beim Kauf individuell zu konfigurieren sind endlos, für Allroundzwecke, für lange Touren, für Offroad-Einsätze bis hin zum Weltreisen, alleine oder zu zweit. Das alles kostet nicht zu knapp, dafür gibt´s das Premium-Image eben mit dazu.

Für die Mittagspause wurde im rustikalen Ambiente der Klosterschenke Weltenburg eingekehrt, anschließend folgte eine Fotosession an einer kurvigen Bergpassage. Beim wiederholten Anfahren bergauf konnte die Hill-Hold-Control nicht wirklich überzeugen, weil bis diese endlich auslöst, muss man mehr mit Kupplung und Gas spielen als ohne. Und das mit Bikes, die zwar bekoffert, aber mehr oder weniger unbeladen waren. Eine Berganfahrhilfe, die mehr ruckelt als hilft, könnte man IMHO auch gleich weglassen und niemand würde etwas vermissen.

Am zweiten Tag tröpfelte es immer mal wieder. Als Petrus ein Stück vor Ende der Ausfahrt seine Schleusen schließlich richtig öffnete, wurde noch geschwind Regenzeug übergestreift. Die Autobahn als Diretissima nach München kam für keinen in Frage. Auf den letzten pitschnassen Landstrassen-Kilometern konnte die GS nochmal ihre Qualitäten auch bei Regen-Bedingungen ausspielen: aufrechte Sitzposition und guter Überblick, gutes Feedback von Reifen und Federung, ordentlicher Wetterschutz besonders auf der Adventure hinter dem wuchtigen Bodywork, die seitlich abstehenden Zylinder helfen, Spritzwasser von Stiefeln und Unterschenkeln abzuhalten. Stoischer Boxersound und praxistauglich breites Drehzahlband trugen dazu, sich im Sattel der BMW ziemlich geborgen und wohl zu fühlen – was ja wohl auch Sinn und Zweck dieser GS On- und Offroad-Entdeckungstour war.

Fotos: Markus Jahn/BMW, Buenos Dias