Fahrbericht: Triumph Speed Triple 1200 RS

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Salatprynz, neue Speed Triple 1200 RS: »Ich war so geil aufs Fahren, dass ich stank.«

Es gibt Wichtigeres bei einem Motorrad als nackte Zahlen. Gleichwohl können diese hilfreich sein bei einer ersten Einschätzung. Bei Triumphs neuem Roadster, der Speed Triple 1200 RS, lösen allein die Eckdaten ein verdächtiges Kribbeln aus, das jederzeit in Habenwill-Reflex umschlagen kann: 1.160 Kubik, 180 PS bei 10.750/min, 125 Nm Dremo, 198 Kilo vollgetankt.

Es ist lange her, dass ich 675er und 1050er Speed Triples ausprobierte. Präsent jedoch ist immer noch: Dreizylinder nicht zu mögen, ist praktisch unmöglich. Durchzug, Sound, Laufkultur. Das Beste von Twins und Fours verquickt zu einer mitreissenden Mixtur. Triples schiessen geheimnisvolle Substanzen ins Hirn, die die Seele streicheln und Sucht nach Fahrtwind und Kurven auslösen. Dreizylinder-Owner (nicht nur von Triumph, auch von Yamaha und MV Agusta) kennen das gut: Wenn die Sonne scheint, zieht einen die Triple-Gier in die Garage und raus auf die Straße.  

Triumphs Überdrüber-Roadster: 1.160 Kubik, 180 PS bei 10.750/min, 125 Nm Dremo, 198 Kilo vollgetankt.

Nun also die jüngste Überdrüber-Triple. Als ich im Salatbus über die Autobahn nach Oschersleben dieselte, drehte ich die Fenster runter, weil ich war so geil aufs Fahren, dass ich stank. Ich wusste, dass beim Triumph Media Day die komplette Modellplette im Paddock bereit stehen würde. Eine bessere Gelegenheit, etliche Bikes auszuprobieren und sich einen Überblick zu verschaffen, gibt es nicht. Trotzdem spukte nur die 1200er Speed Triple RS in meinem Kopf herum.

Klar war, dass man würde beliebig wählen können zwischen Rennstrecke, Straßentouren in den Harz oder beidem. Auch hier besiegte mein Herz den Verstand mit Leichtigkeit – denn ich hatte mich bereits fürs Kringelfahren entschieden. Weil wenn IMHO die seltene Gelegenheit besteht, ohne Gegenverkehr und Radarfallen einige Runden zu drehen, sollte man diese unbedingt wahrnehmen, der Spaß ist zu speziell. 

Unübersehbar das Bemühen um Zentralisierung der Massen, auch beim Auspuff. Dazu feine Teile, soweit das Auge reicht

Erster Eindruck der neuen Speedy in Natura: Ein Motor auf Rädern. Grimmig gedrungen. Reichlich Schwarz, dusterer Lack. Gerader Lenker, buckliger Tank, kurze Überhänge. Für das Hubraumkaliber schlank und kompakt. Typischer Nose-Down-Look. Unübersehbar das Bemühen um Zentralisierung der Massen, auch beim Auspuff. Dazu feine Teile, soweit das Auge reicht: Öhlins-Upside Down, stabile Gabelbrücken, Einarmschwinge und TTX-Federbein mit Verstellern, Brembos Stylema-Mörderkneifer, 5 Zoll TFT-Display im Cockpit und einstellbare Radialpumpen für Bremse wie Kupplung. 

Kein Zündschlüssel, dafür ein Keyless-System. Ein Triumph-Technikus ruft aus 5 Fahrprogrammen den Track-Modus auf und startet den Motor, dann gehts hinter dem Instruktur durch die Boxengasse auf die Strecke und der Flow der Impressionen nimmt seinen Lauf: Das Motorrad händelt sich angenehm leicht, kurvt vom ersten Meter an satt dahin und fährt überwältigend unkapriziös. Man sitzt prima hinter dem breiten Lenker, passend zur schlanken Taille sind die Fußrasten eng und etwas zurück angeordnet. Der Dreizylinder ist eine Wucht, drückt und schiebt sportlich dynamisch bis gewaltig, lässt sich fein abgestimmt dosieren, begeistert mit sehniger Laufkultur und röhrt tripletypisch schön, aber nicht übertrieben.  

Instruktor Arne Tode servierte zur Speed Triple 1200 RS die ideale Linie und kostbare Tipps.

Triumph produziert auch aus der 1200er Hubraum-Kubatur eine Dreizylinder-Charakteristik, die bezaubert, egal ob man will oder nicht. Eine Mischung aus fettem Schub und Überdruck, je nach Gasgriffdrehung. Unten und mittig feinnervig bis souverän, auch in der zweiten Drehzahlhälfte lässt der Punch nicht nach, sondern geht weiter und weiter. Wie das in allen Gängen dynamisch durchzieht, bleibt einfach kein Auge trocken. 

Auch Shortshifting oder schaltfaul aus mittleren Drehzahlen mehrere Passagen hintereinander durchziehen funktioniert prima, Leistung und Drehmoment werden praxisgerecht breitbandig dargereicht. Aus der langen Rechts ohne Schalten zur McDonalds-Schikane hechten passte wunderbar, oder aus dem Shell-S raus zur nächsten Rechts. Einfach an der Rolle ziehen und sich nach schleudern lassen zur nächsten Biegung – grandios. Stichwort Getriebe: Quickshifter und Blipper funktionieren prächtig, zurück im Paddock gestaltete sich nur das Leerlauf-Finden zwischen Gangstufe 1 und 2 etwas hakelig.

Nose Down-Look + LED´s all over the place.

Wie wenig Masse mitgeführt wird, ist schon beim Aufrichten vom Seitenständer zu verspüren. Deutlich unter 200 Kilo mit vollem Tank und plusminus 190 Kilo halbvoll muss man sich für ein unverkleidetes 1200er High-Perf-Bike auf der Zunge zergehen lassen. Dieses geringe Gewicht der Triumph macht sich auch beim Fahren positiv bemerkbar, beim Handling generell. Wie das in Radien aller Art mühelos einlenkt und sich auch in Wechselkurven hin und her werfen lässt, sorgt für leichte Beherrschbarkeit beim Beschleunigen wie beim Bremsen. Kurzum: Fahrspaß vom Feinsten.

Nicht lumpen lässt sich Triumph bei der übrigen Ausstattung: Großes TFT-Display und 5 Fahrmodi (Regen, Straße, Sport, Rennstrecke und Inviduell) wurden bereits genannt. Dazu gibts LED-Lichttechnik rundum, Kurven-ABS und Gyro-basierte, schräglagenabhängige Traktionskontrolle, Quickshifter up & down, Tempomat und Wheelie-Control. Das hauseigene Connectivity-System ermöglicht die Koppelung eines Smartphones (z.B. fürs Navigieren, Musik oder Telephonie) bis hin zur Steuerung einer GoPro-Kamera. 

Triumph zieht ab Werk Pirellis Supercorsa in SC2-Mischung auf, einen trackorientierten Highend-Gummi, manche sagen auch Halbslick, der alltagsorientierten Straßenfahren zu kompromißlos anmuten könnte, mit Blick auf Lebensdauer, Temperaturverhalten, Regentauglichkeit usw. Ich denke, dass sich bei diesem Bike das Thema Erstausrüstung nach geschätzt 3.000 bis 5.000 Kilometern verschleißtechnisch sowieso erledigt und dann wird eh jeder für Straßenbetrieb einen Tourensport- oder Supersport-Reifen seiner Lieblings-Gummimarke aufziehen.  

Zierliche Schwestern: Street Triple 765 R (mit Rot-Deko) und dahinter (mit Grün-Deko) eine Street Triple 765 RS.

Neben der 1200er Speed Triple RS drehte ich auch einige Runden mit der 118 PS starken Street Triple 675 R des 2021er Jahrgangs (mit Euro 5), die parallel zur üppiger ausgestatteten Street Triple 675 RS (123 PS, 5 statt 3 Riding Modes, Öhlins STX40- statt Showa-Federbein, Brembo M50 statt 4.32-Zangen, Radial-Bremspumpe, TFT-Display statt Analog-Digital-Cockpit, zusätzlich mit Blipper zum Schaltassistent) einen schönen Batzen günstiger offeriert wird. Die zierlichen Schwestern der Überdrüber-RS haben voll einstellbare Fahrwerke, gehören optisch unverkennbar zur Roadster-Familie und verblüffen mit leichtfüßig-quirliger Ausgewogenheit. Die Mittelgewichte sind famose Spassmobile, die nur von jenen unterschätzt werden, die damit noch nicht probegefahren sind.

Andächtiger Zuhörer: Salatprynz

Triumph bot für das Media Event in Oschersleben einige Instruktoren auf, darunter namhafte Ex-Rennfahrer. Arne Tode, Deutscher Supersport-Meister auf Triumph und Honda, der auch in der Superbike-IDM Laufsiege einfuhr und in der Moto2-WM unterwegs war, fuhr beim Salatprynz als Instruktor vor und spendete geduldig nützliche Tipps und Ratschläge – das war Gold wert, vielen Dank dafür.

Die neue 1200 Speed Triple RS kostet 17.500 Euro, zuzüglich Fracht/Nebenkosten. Für die 675er Street Triple RS stehen 12.050 Euro in der Preisliste, für die einfacher ausgestattete R-Streety 9650,- Euro (beide Male zzgl. Fracht). Die Neumaschinen-Garantie bei Triumph wurde zum 1. Juli  auf 4 Jahre erweitert. Die Wartungsintervalle sind auf 16.000 km (bzw. 12 Monate) festgesetzt.  

Was ich ohne Landstraßen-Loop beim Triumph Media Day verpasst habe? Speed Twin, Thruxton, Scrambler, Rocket 3 und die eine oder andere Tiger. Schade? Gewiss! Der Mut zur Lücke und vollem Trackday-Kick schien mir aber zielführender. Die letzten Sessions mit den röhrenden Roadstern waren die Besten, und so dieselte ich anschließend sehr happy nach Hause.  

Fotos: Triumph/Marco Unger + Toni Börner, Buenos Dias

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Gerhard Rudolph, fährt Honda CB 1300 und am liebsten Jethelm mit dunklem Visier.

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