In der Schweiz ist das Team Bolliger eine Art National-Eiligtum, das eigentlich jeder kennt, der sich für Motorräder und ein wenig auch für Rennsport interessiert. Dito gilt für Austria und Deutschland, grossteils jedenfalls. Der grüne Endurance-Bolide aus dem Land der Eidgenossen, das ist die Bolliger-Kawa, ja was denn sonst.
Hanspeter Bolliger, der Kopf des Ganzen, ist zehn Jahre selbst aktiv Langstreckenrennen gefahren, von 1982 bis 1992. Ein Privatfahrer aus altem Schrot und Korn: Voller sportlicher Einsatz, stets das Letzte aus den gegebenen Möglichkeiten herausholen, nie aufgeben, sondern kämpfen mit allem was geht.
Es gibt ein Foto aus Barcelona 1982, geschossen von Berichterstatter Dieter Berke, das dann die Titelseite der »Motorsport Schweiz« schmückte: HP aka »Hämpu« völlig verausgabt nach einem Stint bei sengender Hitze auf dem alten Montjuic-Stadtkurs – damals ritten noch zwei Fahrer die 24 H ab. Vor ein paar Jahren, zum 30-jährigen Endurance-Jubiläum, wurde dieses sagenhafte Bilddokument wieder hervorgekramt, um die Bolliger-Box zu schmücken; inzwischen nicht mehr, schade eigentlich.

Hanspeter »Hämpu« Bolliger, als Rennfahrer 1982 in Barcelona und über 30 Jahre später als Teamchef. Die so geschmückte Boxenwand gibt es nicht mehr, das Doppelporträt entstand 2013.
Mit ähnlichem Einsatz und Enthusiasmus agiert der Schnauzbart seit 1993 als Teamchef, mehr und mehr unterstützt inzwischen von Sohn Kevin und etlichen treuen Freunden und Helfern, die genauso leidenschaftlich dabei sind. Über 30 Jahre Endurance-Sport. Es gibt niemand im Paddock, der das nicht zu schätzen weiß. Denn das »Team Bolliger Switzerland«, das neben unzähligen Erfolgen 2010 Endurance-Vizeweltmeister war und immer für einen Platz in den Top-Five gut ist, wird damals wie heute auf privater Basis betrieben. Für den Lebensunterhalt wird ganz normal täglich gearbeitet, für das Präparieren der Rennmaschinen geht es abends in die Werkstatt, für die Renntermine werden Urlaubstage eingelöst.
Das 8H-Rennen zuletzt in Oschersleben war kein Zuckerschlecken für das Team Bolliger. Im Training landete Michael Savary im Kiesbett, im Rennen kippte Gianluca Vizziello bereits in der ersten Stunde um. Natürlich wurde die Kawa repariert und eine Aufholjagd gestartet, die nach 8 Stunden auf Platz 16 endete. Stürze werden im Rennsport und speziell auf der Langstrecke nicht als Weltuntergang angesehen, auch wenn es natürlich nach Stunden-Tagen-Wochen-Monaten umfangreicher und unglaublich penibler Vorbereitung einen Stich ins Herz gibt, wenn der Besenwagen einen demolierten Schrotthaufen in der Box ablädt. Aber dann wird in die Hände gespuckt und flinker repariert als Außenstehende gucken können – und dann geht es weiter. Durchfahren ist im Endurance-Sport immer das erste Ziel, solange es möglich ist jedenfalls. Als das in Oschersleben erreicht war, stapfte Bolliger-Senior nacheinander zu allen Teammitgliedern und drückte jedem dankbar die Hand. Danach gab es Flaschenbier.
Es ist schon eine Weile her, dass ich Roman Stamm fragte, wie der Teamchef reagiert, wenn die Kawa nach einem Crash demoliert zurück kommt. Die Antwort gilt wohl für die Ewigkeit: »Dann zittert nur der Bart heftiger. Aber geschimpft wird nie. HP war selber Rennfahrer und weiss zu genau, wie es zugeht draußen auf der Strecke. Lieber schaut er, dass rasch repariert wird und es weiter geht.«
Roman übers Endurance-fahren: »Grundsätzlich fährt man immer so schnell es geht, vielleicht einen Tick weniger auf des Messers Schneide. Es ist strapaziös, Du musst fit sein, sonst gehst ein wie eine Primel. Die Rundenzeiten geben sich am Tag und bei Nacht nicht viel, sind oft sogar gleich. Nachts fahren ist schon speziell, aber problemlos, wenn man sich daran gewöhnt hat. Ich fahre gerne Endurance-Rennen. Mit der IDM höre ich Ende des Jahres auf, mit dem Bolliger-Team aber fahre ich weiter. Das Teamwork macht es einmalig. Natürlich gibt es Momente, speziell über 24 Stunden, in denen man sich fragt, was man sich da eigentlich antut, etwa bevor es nachts um 4 Uhr bei klirrender Kälte oder Regen aufs Motorrad geht, aber sobald Du im Sattel sitzt, verfliegen solche Gedanken.«
Rennbikes sehen nach unfreiwilligen Kiesbett-Besuchen aus wie mit Kiesel sandgestrahlt, zumindest dort wo keine Carbon-Protektoren die Alupartien abdecken. Wie damit reparaturtechnisch verfahren wird? Nach dem Savary-Crash im Zeittraining schmirgelte Kevin Bolliger an der Schwinge mit einem Kratzschwamm solange an den silbrigen Aluflächen, bis diese wieder glatt gehübscht waren. Die schwarzen Partien wurden ebenfalls überschliffen, danach eine Lage Mattschwarz aus der Dose übergesprayt. Fertig. Die Schwinge, die die Bolligers übrigens selbst mit eingeschweissten Frästeilen modifiziert und verbreitert haben, sah hinterher wieder aus wie neu.
An Rennmaschinen gibt es immer viel zu schrauben und zu checken. Normal. Wie die Endurance-Kawa zwischen Training und Rennen in einer ziemlich ausgiebigen OP vorbereitet wird, habe ich Kevin Bolliger gefragt, der mir geduldig folgende Antworten gab: »Zu Hause wird das Motorrad rennfertig vorbereitet. Nach freiem Training, Nachttraining und Qualifying wird routinemäßig vorbeugend das Getriebe getauscht, die Kupplung ersetzt, ebenso die Antriebskette erneuert. Dazu werden Motoröl und Filter gewechselt, das Data Recording ausgebaut und die Airbox gecheckt, dass kein Öl drin ist.«
- Von Beringer: Bremspumpe…
- …und Endurance-Bremszangen.
- Wieviel Radsätze es braucht? Neun!
»Die Bremsen erhalten neue Beläge. Die im Training verwendeten, die natürlich noch gut sind, kommen zu den Reserveteilen, die wir nach der Demontage der Reservemaschine immer bereit legen, für den Fall der Fälle; genauso wie die ausgetauschte Kette, deren Länge für die jeweilige Übersetzung exakt passt. Wir verwenden Beringer Endurance-Bremszangen mit extradicken SBS-Belägen und einer speziellen Belagmischung. Die Beläge sind extra angeschrägt, damit beim Radwechsel alles reibungslos klappt. Die Lebensdauer hängt jeweils stark von der Strecke ab. Le Mans gilt als bremsenmordend, dort wechseln wir bei den 24 H vorne etwas nach Rennhälfte. In Oschersleben übersteht ein Satz Bremsbeläge problemlos die 8 Stunden.«
- Scheinwerfer mit Xenon.
- Schwinge selbst modifiziert.
- Kettenradträger an Schwinge.
»Das Motorrad wird komplett penibel gecheckt. Ob Auspuff oder Kühler einen Riss haben, ob alle Bauteile in Ordnung sind und sämtliche Verschraubungen fest. Hinten wird für das Rennen ein Stahl-Kettenkranz montiert, fürs Training war Aluminium verbaut. Es geht dabei weniger ums Gewicht, als um geringeren Verschleiß. Bei der Lichtanlage sind Xenon-Lampen verbaut, aus dem Auto-Rallyesport, dazu gehören zwei Transformer, die die Energie umwandeln, die sind vorne in der Verkleidung verstaut. Die Scheinwerfer sind klein und leicht und die Lichtausbeute wirklich gut.«
»Unsere Hauptsponsoren sind Kawasaki Schweiz, Pirelli und Motorex. Dazu kommen etwa 30 kleinere Sponsoren mit Material, Geld, ecetera. Wir sind jedem dankbar, der das Team Bolliger wertschätzt. Weiter gibt es unseren 100er Supporter-Club, in dem man ab 100 Franken Spende dabei sein kann, gerne auch mehr; dafür wird der Name dann auf eine Boxenwand geschrieben. Derzeit sind es 198 Leute, die uns als Supporter unterstützen. Wir organisieren stets ein End of Season-Fest, zu dem dann alle eingeladen werden mit Frau und Kindern. Mein Vater und ich moderieren das Ganze, ein Film wird gezeigt, zu Essen und Trinken geht es abends an die Bar – quasi eine riesige, wunderschöne Vollgas-Party.«
Langstreckenrennen bieten ein anderes Spektakel als MotoGP oder Superbike-WM-Rennen. Weil es um Aushalten und Durchkommen geht. Weil es Teamsport ist, in dem jeder einzelne genauso viel zum Erfolg beträgt wie die Fahrer. Die Atmosphäre ist ergreifend, extrem verdichtet. Die Performance ist überhaupt als interessierter Zuschauer leichter nachvollziehbar. Weil hier keine unnahbaren Götter unterwegs sind und weil jeder, der selbst Motorrad fährt, zumindest in etwa nachvollziehen kann, wie sich Body und Sitzfleisch anfühlen nach stundenlanger Fahrt im Sattel.

Mit Vollgas durch die Nacht huschen (hier Savary) erfordert Gewöhnung. Geiles Zeug: Hinterleuchtete Startnummern.
Angegast wird genauso wie bei Sprintrennen, ein Tick weniger aggressiv vielleicht, was aber nicht verwechselt werden sollte mit Trödeln oder Rumrollen. Niemand verschenkt auch nur ein Zehntel freiwillig, auf der Strecke nicht und bei den Boxenstopps, die an Zauberei grenzen, schon gar nicht – darauf ist der Gasgriffsalat neulich schon in Wort und Video (hier der Link dazu) eingegangen. Und nachts wird im Endurance-Sport sowieso längst genauso schnell und engagiert am Kabel gezogen wie am Tag. Die Rundenzeiten sind annähernd gleich.

Warten zwischen den Boxenstopps. Die Luftflasche braucht es für den Pneumatikheber und die Pressluftschrauber.
Die Langstrecken-WM erlebt gerade eine Umstrukturierung, was den Terminkalender betrifft. Die Saison 2016 ist beendet, SERT-Suzuki heisst der alte und neue Weltmeister. Das GMT94-Team, dass in Oschersleben vor SERT gewann, wurde mit einem Punkt Rückstand Vizeweltmeister.

Tricky Tank-Tech: Die eingepassten Nasen sind Sicherungen, die verhindern, dass die federbelasteten Stutzen einfach öffnen. Erst wenn das Gegenstück der Schnelltankanlage angesetzt wird, entriegeln die Nasen seitlich weggedrückt die schwarzen Stutzen, die nach unten gleiten zum Befüllen/Entlüften, damit Sprit in den Tank rauscht. Quickfiller-Sicherungen sind erst seit kurzem vorgeschrieben. Grund waren brennende Bikes nach Stürzen, wenn Kiesel oder Sturzteile die Stutzen öffneten, Sprit auslief und sich entzündete. Diese Variante hat Hightech-Qualität; einfacher sind Deckel aus Kunststoff, die dem Quickfiller übergestülpt werden, vor dem Tanken abgenommen und danach wieder aufgesteckt werden müssen.

Straßen- oder Racing-Schaltschema, beides geht, was jedem Fahrer lieber ist. Feder drücken, Gestänge abziehen und unten statt oben am Hebelarm-Pinockel aufstecken. Geht ratzfatz.
Kommendes Wochenende startet beim Bol d´Or in Le Castellet bereits die neue Langstrecken-WM-Saison, die dann im Sommer 2017 in Suzuka in Japan beendet wird. Natürlich ist das Team Bolliger Switzerland wieder mit am Start. Weil Roman Stamm bei der IDM am Lausitzring unterwegs ist, wird das Fahrertrio diesmal aus Horst Saiger, Michaël Savary und David Perret bestehen, wenn es einmal rund um die Uhr geht. Daumen drücken kann sicher nicht schaden. Vielleicht sogar doppelt, dem im Prolog starten Marcel Kellenberger und Stefan Merkens auf einem Bolliger-Classic-Racer beim Classic Bol d´Or über zweimal 2 Stunden.

Bolligers Klassik-Ofen mit GPZ1100-Herz, der nicht mehr oft angeheizt wurde zuletzt. Das Bild datiert von 2013.
Fotos: Buenos Dias